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kotlagraben   
der pfeil der zeit oder warum wir uns nicht an morgen erinnern

‘kotlagraben’ ist ein realisiertes projekt, das von mir auch 1997 als architekturdiplomarbeit an der tu-graz eingereicht wurde. (bei hans kupelwieser)

die gesamte arbeit ist geprägt von der grundintention, die grenzen zwischen kunst und architektur auszuloten. diese suche umfaßt sowohl allgemein gültig scheinende grenzbereiche, als auch jene persönlichen haltegriffe, die so schwer loszulassen sind.

der ort

zuerst schien der kotlagraben nur räumlich interessant zu sein, doch der zwang über zeit nachzudenken, sobald man in ihm ist, macht neugierig. was hat der ort mit zeit zu tun?
aufgrund seiner großen geschiebeführung (stein, felsen, muren usw) wurden zwei geschiebestausperren, die obere bereits im jahre 1896, die untere 1964, errichtet. die verlandungsräume hinter den bis zu 12 meter hohen mauern haben sich im laufe der zeit zur gänze mit sand, schotter und felsen gefüllt. so entstanden gewaltige, künstliche, wüstenartige ebenen, die durch ihre schwierige erreichbarkeit und ihre abgeschlossenheit zeitartig entrückt erscheinen. seitlich von steilen, felsigen hängen begrenzt, zur welt draußen durch scheinbar unüberwindbare künsliche mauern getrennt und oben endend am fuße senkrechter felswände. der ort hat nur einen zugang. einer riesigen sanduhr gleich mißt er eine für uns menschen nicht nachvollziehbare zeit. die fast 1,5 ha große ebene des oberen beckens bildet den raum für das projekt. im laufe eines jahres wurde der ort untersucht und seine zeitlich bedingten veränderungen festgehalten. parallel dazu entstanden vier bewußte eingriffe, die alle veränderungen im raum durch die zeit thematisieren und veranschaulichen. die gesamtheit der veränderungen wurde fotografiert und dokumentarisch festgehalten und über das medium buch nachvollziehbar gemacht. das projekt weist wohl einen anfang auf, sein ende jedoch ist nicht absehbar. die fotografische dokumentation von immer denselben punkten aus setzt sich jedes jahr aufs neue fort.

das projekt

der wall
das blaue quadrat
der schwarze baum
die gemse

kurzer, leider unbedingt nötiger ausflug in die theorie:

„das anwachsen der unordnung oder entropie mit der zeit ist ein beispiel für das, was wir zeitpfeil nennen, für etwas, das die vergangenheit von der zukunft unterscheidet, indem es der zeit eine richtung gibt. die naturgesetze machen keinen unterschied zwischen der vorwärts- und der rüchwärtsrichtung der zeit. es gibt jedoch mindestens drei zeitpfeile, die die vergangenheit von der zukunft unterscheiden: der thermodynamische pfeil, die zeitrichtung, in der die unordnung zunimmt.; der psychologische pfeil, die zeitrichtung, in der wir die vergangenheit, aber nicht die zukunft erinnern; und der kosmologische pfeil, die zeitrichtung, in der das universum sich ausdehnt und nicht zusammenzieht." stephen w. hawking: „eine kurze geschichte der zeit"

der wall, das blaue quadrat

der thermodynamische zeitpfeil
am freitag, den 16. august 1996, um 15 uhr 50, wurde der von mir beabsichtigte höchste grad an ordnung erreicht. 64 blaue, im quadrat aufgelegte und mit einer identität versehene steine, und 27 meter eines mit einem längenmaß versehenen steinwalls. die blauen steine mit einem gemeinsamen gewicht von 907.45 kg sowie der wall mit ca. 20 t entstanden in einem zeitraum von 4 monaten. dieses, ab diesem zeitpunkt sich selbst überlassene ereignis, markiert einen zustand, dessen gehalt an ordnung den gesetzen der natur folgend, stetig und unabänderlich abnimmt. dieser grad an ordnung wird dem wall und dem quadrat zu keinem späteren zeitpunkt mehr innewohnen. weiters markiert das ereignis eine zäsur im fluß der zeit , einen augenblick der gegenwart.
der psychologische zeitpfeil:
jeder einzelne der 64 dem thermodynamischen zeitpfeil folgenden blauen steine wird mit einer person verbunden. so soll ihm, dem benannten, dem existierenden, der stempel des psychologischen zeitpfeils aufgedrückt werden. 64 menschliche individuen werden so durch den besitz eines, einem gemeinsamen ordnungssystem von 64 steinen angehörenden steines, selbst für einen moment teil einer ordnung. ebenso wie die ordnung der steine vergehen wird, werden sich auch die mit dem blauen quadrat verbundenen besitzer im strom der zeit auf noch unbekannten pfaden weiter- und auseinanderbewegen.

der schwarze baum

dieser veranschaulicht als ‘gefundenes objekt’ sowohl den zeitpfeil als auch den widerstand dagegen. durch den eingriff des schwarz bemalens wurde diese symbolhafte wirkung unterstrichen.

die gemse

die dokumentation des verwesungsprozesses eines gefundenen objektes ohne bewußte eingriffe.

der prozeß der suche nach den grenzen zwischen kunst und architektur hat sich an diesem ort materialisiert. die ursprünglich erwarteten antworten wurden nicht gefunden, wohl aber die erkenntnis, diese grenzen immer wieder aufs neue ausloten zu müssen. die allgemeingültigkeit der arbeit liegt in der setzung eines neuen ‘grenzsteines’ im vermeintlichen niemandsland zwischen kunst und architektur.

©rwanek